3. Güte der ENP-Praxisleitlinien

Die pflegediagnosenbezogenen Behandlungspfade in ENP sind durch die induktive Entwicklung in Deutschland entstanden (Wieteck, 2004b). Bis heute wird die Weiterentwicklung von ENP durch die Anwender(innen) mitbeeinflusst. Sie melden an das ENP-Entwicklerteam Anforderungen an die Abbildbarkeit von Pflegediagnosen und Pflegemaßnahmen direkt aus der pflegerischen Versorgungspraxis. Diese Anforderungen aus der Pflegepraxis werden aufgenommen und als Entwicklungseingabe definiert. So wurde beispielsweise im Jahr 2010 im Rahmen der Abbildung von Kommunikationsbeeinträchtigungen bei demenzerkrankten Bewohnern, z. B. „unklare Sprache“, „bedeutungsleere Sprache“ eingereicht. Nach der inhaltlichen Auseinandersetzung mit den Pflegenden vor Ort und einer ersten Literatursichtung wurde der Praxisleitlinienpfad „Der Patient ist aufgrund einer Sprachstörung in der Kommunikation beeinträchtigt“ entwickelt. Nach positiver Bestätigung der Pflegenden vor Ort kommt es im nächsten Schritt zu einer vertieften Literaturarbeit und einem systematischen Abgleich mit möglichen konkurrierenden Pflegediagnosen.

Die Literaturabstützung der ENP-Praxisleitlinien bezieht internationale als auch nationale Fachliteratur und Studien mit ein. Diese systematische fachliche Abstützung von ENP wurde in den letzten Jahren massiv forciert und die Qualität der Praxisleitlinien dadurch deutlich verbessert (vgl. auch Kapitel 1.4.2). Auch erfährt die systematische Weiterentwicklung und Validierung von ENP zunehmend in Form von Bachelor-, Master und Promotionsarbeiten wichtige Impulse und Anstöße (vgl. z. B. Burggraf, 2019; Haller, 2017; Hausherr, 2018, 2020; Nißlein, 2017a, 2017b). Jede ENP-Praxisleitlinie ist mit aktueller Fachliteratur abgeglichen, im Rahmen der Inhaltsvalidierungsdiskussion pflegediagnostischer Begriffe bezeichnet Woodtli (1988) dieses bereits als ein Zeichen von Inhaltsvalidierung.

Es existieren mehrere Inhalts- und Kriteriumsvalidierungsarbeiten (vgl. z. B. Berger, 2010; Hardenacke, 2007; Hausherr, 2020; Helmbold, 2010; Helmbold & Berger, 2010; Nißlein, 2017b; Schmitt, 2010; Wieteck, 2006b, 2006c, 2008b), weitere befinden sich zurzeit in der Planungsphase oder werden/wurden im Rahmen von akademischen Abschlussarbeiten durchgeführt. Im Rahmen der Kriteriumsvaliditätsprüfung von Berger (2010) wurden 1.931 narrative Pflegeprozessplanungsformulierungen mit ENP im Krankenhaus-Setting abgebildet. Die Formulierungen sind Examensarbeiten entnommen, die mit der Note 1–2 bewertet wurden. Insgesamt konnten 73 % der Formulierungen vollständig, 14 % der Formulierungen teilweise und 13 % der Formulierungen nicht abgebildet werden. Zu ähnlichen Ergebnissen kommt auch die Kriteriumsvaliditätsstudie von Schmitt im Bereich der neonatologischen Intensivpflege (Schmitt, 2010). Diese Arbeiten beziehen sich auf die komplette Praxisleitlinie. Auch die Literaturanalysen von Helmbold (2010) bzw. Helmbold und Berger (2010) beziehen sich auf eine Praxisleitlinie in ihrer Gesamtheit. Am Beispiel der Pflegediagnosen zur Mangelernährung kann anhand der gefundenen Validitätseinschränkungen, die in der Studie von Hardenacke (2007) festgestellt wurden, die darauffolgende Bearbeitung und Weiterentwicklung der ENP-Diagnosen zur Mangelernährung nachvollzogen werden (Helmbold, 2010).

Einige Studien und Projekte zur Evaluierung von ENP wurden und werden im Zusammenhang mit der praktischen Anwendung von ENP durchgeführt. So kamen Baltzer und Kollegen in einem breit angelegten Anwendungsprojekt im Krankenhaus zu den Schlüssen: „ENP-Formulierungen sind praxisnah und verständlich“ und „Mit ENP können die Prozesse der Pflege vollständig und nachvollziehbar abgebildet werden“ (Baltzer et al., 2006, S. 9). Das Evaluationsprojekt des Kantons St. Gallen, durchgeführt in vier verschiedenen Kliniken des Kantons, hatte zum Ziel, die Fachsprache ENP für einen kantonalen Entscheid über eine Einführung zu testen. Vor diesem Hintergrund wurde ENP in verschiedenen Einrichtungen und Fachdisziplinen getestet. Siehe hierzu den Schlussbericht zur Konzeption und Pilotierung der Einführung von ENP an den Spitälern und Kliniken des Kantons St. Gallen (Kossaibati & Berthou, 2006). Im Rahmen des Evaluationsprojektes wurden durch die Pflegeexpert(inn)en der jeweiligen Piloteinrichtungen die mit ENP dokumentierten Pflegeplanungen bezüglich der Kriterien „Überprüfbarkeit“, „Handlungsleitung“, „Pflegefachliche Relevanz“, „Eindeutigkeit“, „Verständlichkeit“ und „Vollständigkeit“ bewertet. „In mindestens 80 % der analysierten Pflegeplanungen erfüllten die dokumentierten Inhalte die Analysekriterien“ (Kossaibati & Berthou, 2006, S. 41).

In einer Interventionsstudie wurde untersucht, ob sich die Anwendung von ENP (damals noch „Textbausteine zur Pflegeprozessdokumentation“ genannt) in einer Software auf die Qualität der Pflegeprozessdokumentation in einer Altenpflegeeinrichtung auswirkt. Die frequenz- und valenzanalytischen Auswertungen zeigen deutlich positive Auswirkungen auf die Dokumentationsqualität (Wieteck, 2001). In einer weiteren Studie wurde untersucht, inwieweit die „tatsächlich durchgeführten Pflegemaßnahmen“ (erfasst durch Beobachtung) mit den „dokumentierten Pflegeleistungen mittels ENP“ übereinstimmten. Insgesamt wurden in der multizentrisch deskriptiven Querschnittstudie mittels Paralleltest-Methode 1.068 Pflegemaßnahmenkodierungen bei 34 Patient(inn)enfällen bewertet. Die prozentuale Übereinstimmung der Ergebnisse in den beiden Einrichtungen lag im Mittel bei 76 %. In der Studie bleibt jedoch die Frage offen, ob und inwiefern die 24 % nicht korrekter Kodierungen in Versäumnissen der Pflegepersonen oder fehlenden Items auf Pflegemaßnahmenseite in ENP begründet sind (Wieteck, 2007b). ENP-Datenauswertungen aus Kliniken, stationären Pflegeeinrichtungen und ambulanten Pflegediensten wurden in zwei weiteren Studien veröffentlicht. Hier wurden ENP-Daten aus den Pflegeprozessdokumentationen bezogen auf unterschiedliche Fragestellungen genutzt (Haag, 2009; Konrad, 2009; Wieteck, 2004a). In einem Fachaufsatz zeigt Wieteck (2009), dass ENP in dem vorgestellten Beispiel die Granularität, d. h. die Eindeutigkeit, Feinkörnigkeit und Trennschärfe, besitzt, um z. B. die Auditfragestellungen des Expertenstandards Dekubitus aus der täglichen Pflegeprozessdokumentation auszuleiten. ENP wird ebenfalls im Kontext der Abbildbarkeit der Pflegeleistung innerhalb des DRG-Systems diskutiert (Bartholomeyczik, Haasenritter, & Wieteck, 2009; Wieteck & Kraus, 2015, 2016). Darüber hinaus wurden Validierungsarbeiten bezüglich der Übersetzung von ENP ins Italienische, Englische und Französische durchgeführt. Hierfür bestehen u.a. eine Zusammenarbeit mit der Universität L‘Aquila sowie mehreren Kliniken in Luxemburg.

Die Stärke von ENP ist neben vielen weiteren Aspekten insbesondere in der feinen Granularität zu sehen, die den Dokumentationsanforderungen der Pflegenden im deutschsprachigen Bereich entspricht. Die Klassifikation ist im deutschsprachigen Kontext entwickelt worden und somit sind kulturelle Anpassungen für den deutschen Sprachraum nicht erforderlich. Ein internationaler Datenaustausch könnte über ein Mapping sichergestellt werden (Wieteck, 2007c). Ebenso können mit ENP Anforderungen des MDS, die in der Grundsatzstellungnahme zum Pflegeprozess und zur Dokumentation gestellt sind, erfüllt werden (Medizinischer Dienst der Spitzenverbände der Krankenkassen e.V. (MDS), 2005).

ENP klassifiziert im Vergleich zu anderen präkombinatorischen Pflegeklassifikationssystemen Pflegediagnosen, Pflegeziele und Pflegemaßnahmen, die individuell zusammengeführt als Praxisleitlinie in einer horizontalen Struktur Pflegewissen als Entscheidungshilfe für Pflegende anbieten. Unter anderem deswegen sind Vergleiche von Gütekriterien mit anderen Klassifikationssystemen herausfordernd und nicht einfach umzusetzen.

 

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